Vorurteilsbewusster Journalismus

Lorenz Matzat
4 min readFeb 25, 2020

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Unser Berufsfeld muss sich mit dem eigenen Rassismus auseinandersetzen

2 von 5 Seiten Vorabdruck aus Thilo Sarrazins Buch “Deutschland schafft sich ab” in Der Spiegel (2010/34)

Es ist ein Paradox. Viele Akteur*innen des Journalismus in Deutschland berufen sich zwar gerne auf die wichtige Rolle für die Demokratie (Vierte Gewalt, Korrektiv usw.). Doch Verantwortung für die Auswirkungen der eigenen Berichterstattung auf die tatsächlichen politischen und gesellschaftlichen Vorgänge wird in der Regel von sich gewiesen. Man sei ja “nur” ein*e neutrale*r Vermittler*in. Jemand, die oder der „sagt, was ist“. Diese Formel signalisiert in ihrer Überheblichkeit, dass Zweifel und (Selbst-)kritik nicht vorgesehen sind: Was ich sage, hat richtig zu sein.

Es ist bekannt, dass die Zusammensetzung in den meisten deutschen Redaktionen alles andere als divers ist. Menschen, die selbst oder deren Vorfahren als Migrant*innen oder Geflüchtete kamen, sind dort weiterhin rar. Das hat Konsequenzen in einem Berufsfeld, in dem zentral ist, zu entscheiden, welche Informationen und Positionen wie vermittelt werden und welche eben nicht. Dass bei diesen bewussten und unbewussten Entscheidungen, die permanent getroffen werden — von einem selbst und im redaktionellen Kontext –, die eigene (räumliche wie ökonomische) Herkunft, Sozialisation, Ausbildung und schließlich Haltung entscheidende Faktoren sind, liegt auf der Hand.

Multiplikator rassistischer Stigmata

Wenn von der Warte eines weißen, bildungsbürgerlichen Milieus aus „gesagt wird, was ist“, hat das mit dem Alltag und der Lebensrealität von bedeutenden Teilen der Menschen hierzulande wenig bis gar nichts zu tun. Und so ist auch Rassismus in all seinen Spielarten kein Thema für viele deutsche Journalist*innen. Schaut man etwa in die Lehrpläne von Journalist*innenschulen und -studiengänge, in Programme von journalistischen Fortbildungseinrichtungen und Konferenzen, beschränkt sich die Debatte über Diversität in der Regel auf die Frage Gender. Die Problematiken des Journalismus einer Mehrheitsgesellschaft im Umgang mit Marginalisierten ist selten Gegenstand der Auseinandersetzung.

So mangelt es immer wieder an kritischer Beschäftigung mit der eigenen journalistischen Rolle, die bei der Verbreitung rassistischer Stigmata mindestens als Multiplikator dient — siehe „Döner Morde“, „BAMF Skandal“, „Clan Kriminalität“. Und bestenfalls ist es fehlendes Bewusstsein für das davon ausgehende Signal, wenn ein Enabler der rassistischen Stimmungsmache — wie Axel-Springer Chef Mathias Döpfner — zum Vorsitzenden des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (ehemals Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger — BDZV) gewählt wird.

Vielleicht ist es die Illusion von einer politischen “Mitte“, die in vielen Redaktionen die Vorstellung nährt, es gäbe ein Dazwischen bei Antirassismus und Rassismus. Dem ist nicht so. Die journalistische Zunft, die nicht rechts sein und sich gegen Rassismus stellen will, muss sich ihren Vorurteilen bewusst werden. Frei von Vorurteilen kann man nicht sein. Doch man kann sich ihrer klarer werden. Und versuchen, Methoden zu etablieren, die sie sichtbar machen, um sie entschärfen oder thematisieren zu können. Nur so kann es gelingen, Sensibilität für alltäglichen Rassismus zu entwickeln, der allerorten in den gesellschaftlichen Vorgängen und Institutionen steckt. Das ist schwer, weil ungewohnt und wahrscheinlich schmerzhaft für einen selbst und das (berufliche) Umfeld: Möglicherweise ist man gar nicht so vorurteilsfrei wie man immer dachte. Und die Gefahr, in Paternalismus abzudriften, droht noch dazu. (Aus Mitleid eine*n geflüchtete*n Journalist*in in die Redaktion zu holen,ist keine Auseinandersetzung mit den eigenen rassistischen Denkmustern).

Expertise ist vorhanden

Doch muss nicht bei Null begonnen werden. Es gibt Personen, Institutionen und Ansätze, die sich mit Rassismus und mit ihm verknüpften Diskriminierungen seit langem befassen. Beispielsweise arbeiten die Neuen Deutschen Medienmacher*innen schon länger dazu. Sie befassen sich nicht zuletzt mit Begrifflichkeiten rund um Rassismus. In einem auf Sprache fußenden Berufsfeld ist das selbstredend elementar von Bedeutung. Nicht nur in den Tagen nach Hanau wird der tief verankerte Rassismus in der Sprache in Form von Mangel an Empathie, Ignoranz und Unwissen sichtbar.

Aus der antirassistischen Bildungsarbeit stammt das Anti-Bias-Konzept. Es wird im Deutschen auch mit „vorurteilsbewusster Bildung“ bezeichnet. Der Ansatz wurde in der „Social Justice“-Bewegung in den USA erdacht und u.a. in Südafrika in Folge der bis heute anhaltenden Aufarbeitung des Apartheid-Regimes weiterentwickelt. „Intersektionalität“ befasst sich mit der Verschränkung (intersection/Kreuzung) verschiedene Disriminierungsmuster (Geschlecht, Herkunft, Alter, Klasse usw.). Gerade wird auch wieder vermehrt von „Dekolonialisierung“ (decolonization) gesprochen. Ein Konzept, um das historisches Bewusstsein zu stärken und vor allem rassistische Kontinuitäten im Bewusstsein, Denken und Handeln aufzudecken — um andere Richtungen einschlagen zu können.

Aus dem Kreis des Journalist*innen-Zusammenschluss „Hostwriter” erschien vergangenes Jahr der Sammelband „Unbias the news —Why Diversity Matters for Journalism”. Eine der Autorinnen, Tabea Grzeszyk, gab Ende 2019 im Medienmagazin von ver.di unter anderem diese Empfehlungen: „Buchen Sie ein Antirassismus-Training für Ihre Redaktion“ und „Machen Sie den Newsroom so vielfältig wie die deutsche Gesellschaft!

Wandel einleiten

Soll nun also gehandelt werden, statt die üblichen Bekundungen abzugeben, müssen Redaktionen ernsthaft einen Wandel einleiten. Denn wenn es stimmt, dass Journalismus eine wichtige Rolle in der Gesellschaft spielt, trägt er einen Teil der Verantwortung dafür, dass die Gesellschaft so rassistisch ist, wie sie ist. Damit er beitragen kann, das zu ändern, müssen wir Journalist*innen aus der weißen Mehrheit uns mit den Effekten unseres Rassismus auf unseren Beruf und die Gesellschaft auseinandersetzen. Das geschieht sicher nicht von heute auf morgen und wird ein langwieriger Prozess.

Neben der entsprechenden Entwicklung von Aus- und Fortbildungskonzepten und einer möglichen Änderung der Ausbildungs- und Einstellungspraxis, sollte sich die konkrete journalistische Arbeit ändern. Wir könnten beispielsweise unsere Quellenarbeit überdenken. Reicht es, wenn wir schlicht darauf setzen, dass es zwei voneinander unabhängige Quellen gibt? Oder müssen wir nicht auch darauf schauen: Wer spricht über wen? Wie können marginalisiert Perspektiven stärker zu Wort kommen? An welcher und wessen Norm orientiere wir unsere Wort- und Bildwahl? Und vielleicht könnte es ein redaktioneller Maßstab werden, zu fragen: Wenn eine Person mit Rassismuserfahrung unser journalistisches Stück liest, sieht oder hört: Was könnte für sie verletzend sein, wie kommt das bei ihr an?

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Lorenz Matzat
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