Journalismus-ist-wenn-wir-es-sagen-Fabrik

Lorenz Matzat
4 min readJan 17, 2017

Ein Kommentar zum Konzept der „Reporterfabrik” des Journalismusbüros “Correctiv” und “Reporterforums.” Es ist ein befremdliches und offenbar halbfertiges Werk (pdf). Zum einen werden eine Menge Begriffe in einen Topf geworfen. Zum anderen wird mit Methoden hantiert, die man selbst kritisiert.

Es beginnt mit dem Titel selbst: Reporterfabrik. Reporter sind eine zahlenmässig kleine Untergruppe von Journalisten: Sie gehen vor Ort, berichten von dort. Reportagen werden gerne (nicht zuletzt von Reportern) als „Königsklasse des Journalismus“ bezeichnet. Journalismus besteht allerdings aus einigen mehr Genres und Aufgaben. Jedenfalls ist es geradezu brutal, den Begriff Reporter in Kombination mit Fabrik zu setzen. Einer Anlage, in der große Mengen von Produkten in Serie hergestellt werden — nicht zuletzt, um die Kosten zu minimieren. Das Bild einer Maschinerie, in der gleichgeformte Vorortberichterstatter kostengünstig in hoher Stückzahl gefertigt werden, wirkt als Titel des Vorhabens wenig einladend.

Im Untertitel heißt es nun „Webakademie des Journalismus“. Die soll eine „Journalistenschule für jeden“ werden. Fabrik, Akademie, Schule. Vielleicht ist die Idee dahinter, dass sich jeder von einem dieser drei Begriffe angesprochen fühlen kann. Vielleicht ist dem Team aus Correctiv und Reporterforum hinter dem Vorhaben aber selbst nicht klar, was es sein soll. Die drei Begriffe stehen jedenfalls eher für unterschiedliche Herangehensweisen, als miteinander zu harmonieren.

Meinung gleich Journalismus

In den thesenartigen ersten Sätzen der Vorstellung des Konzepts der „Reporterfabrik“ geht es weiter durcheinander. Die Äußerungen in lokalen News-Sites, Blogs und Social Media-Kanälen werden scheinbar alle als Bürgerjournalismus gewertet; es handele sich hierbei um eine „fünfte Gewalt“. Aber:

„Nie vorher war die veröffentlichte Meinung unqualifizierter. Ohne die simpelsten Regeln des journalistischen Handwerks, des Pressekodex und des Anstandes zu achten, verbreiten hunderttausende Hobby-Journalisten Desinformation, Gerüchte, Vermutungen und Verunglimpfungen.“

Abgesehen davon, dass es fraglich ist, ob die „veröffentlichte Meinung“ wirklich nie unqualifizierter war, ist anzumerken: Meinung sollte in journalistischen Medien klar gekennzeichnet sein — als Kommentar. Und gerade und nur hier ist es, wo Journalisten entgegen der journalistischen Pflicht zur Ausgewogenheit die eigene Sicht der Dinge in den Vordergrund stellen dürfen. Nicht jede Meinungsäußerung in Social Media ist aber deswegen Journalismus und auch nicht Bürgerjournalismus. Wenn Journalismus synonym für Meinung steht, spricht das für ein seltsames Journalismusverständnis der „Reporterfabrik“-Macher.

Geradezu aberwitzig wird es, wenn im ersten Halbsatz auf den Pressekodex (Sorgfaltspflicht usw.) verwiesen wird, um im folgenden Nebensatz ein Bild von „hundertausenden Hobby-Journalisten“ zu zeichnen, die desinformieren und verunglimpfen würden–ohne Quellenangabe für diese vage Zahlenangabe.

Dünkel bricht sich Bahn

Hier entsteht bei mir der Eindruck, dass sich der Dünkel von “Qualitätsjournalisten” Bahn bricht: Eine gefühlte Wahrheit, frei von konkreter Faktenbasis, imaginiert die Existenz einer riesigen Horde von eigentlich verachteten Hobby(=Bürger)-Journalisten. Dass hier selbst zu den Methoden des Gerüchts, der Vermutung und Verunglimpfung gegriffen wird, fällt den Autoren des Konzepts dabei bezeichnenderweise nicht auf.

So bekommt diese Fabrik einen schalen Beigeschmack nach Erziehungsanstalt (Schule). In der zur Förderung der „freien Meinungsbildung“ offenbar die Fabrikation der „richtigen” Meinung vermittelt werden soll. Wo der namensgebende “Reporter” und das Akademische in diesem Konzept steckt, bleibt undeutlich.

Die übergreifende Klammer der “Reporterfabrik” soll der Aufbau einer „redaktionellen Gesellschaft“ sein. Was damit gemeint ist, wird seltsamerweise nicht erklärt. Offenbar wird sich hier auf ein Konzept des australischen Medienwissenschaftlers John Hartley bezogen. Der hatte 2000 einen Aufsatz “Communicative democracy in a redactional society” geschrieben (der Beitrag ist wohl in Gänze online nicht frei verfügbar). Soweit es sich von mir überblicken lässt, geht es darum, dass de facto alle Mitglieder einer Gesellschaft befähigt sein sollten, für sich redaktionelle Entscheidungen zu treffen, etwa: Ist eine Nachricht veröffentlichungswürdig? Über diesen Ansatz lässt sich nachdenken. Ich empfehle der “Reporterfabrik”, zu erläutern, was sie darunter verstehen.

Es geht noch ein paar Abschnitte weiter mit Thesen und Äußerungen. Schließlich folgt dann Konkretes: Wie die „Fabrik“ strukturiert ist, wer sie unterstützt und wie und wozu sie arbeiten will. Das wirkt alles recht konventionell– muss deswegen aber nicht verkehrt sein. Die Frage wäre vielmehr: Gibt es einen Bedarf nach Webinaren und MOOC in diesem Bereich? Die bisherigen Lehrvideos von Correctiv haben bislang nur ein paar hundert Aufrufe bei YouTube. Und mangelt es wirklich an Weiterbildungsmöglichkeiten für professionelle Journalisten?

Bestenfalls unfertig

Bestenfalls ist das Konzept deswegen so inkonsistent, weil es nicht fertig ist. Das Layout des PDF spricht dafür: Diverse Flächen scheinen als Platzhalter für Bilder/Grafiken vorgesehen; manche Punkte sind nur rudimentär ausgearbeitet. Wahrscheinlich soll das Ganze zu einer Broschüre werden, die man möglichen Geldgebern in Hochglanz zusenden oder bei einem Gespräch übergeben kann. Entscheider blättern gerne in so etwas herum, heißt es.

Warum das Konzept jetzt so hastig veröffentlicht wurde, lässt sich nur erahnen. Vergangenen Sonntag wurde die Nachricht von der Gründung der „Reporterfabrik“ bekannt. Wenige Stunden zuvor wurde die Rolle von Correctiv als „Fake News“-Prüfer für Facebook in Deutschland verkündet . Für letzteres bekommt Correctiv laut eigenen Angaben erst einmal kein Geld von dem US-Konzern; es sei vorerst ein Betatest für einige Wochen. Allerdings, so ist es bei Meedia zu lesen, rechne die “Reporterfabrik” mit Geld von „Tech-Unternehmen aus den USA“. Wir werden mehr wissen, wenn die Sponsoren des Vorhabens veröffentlicht werden. UPDATE (17.1.17–11.45 Uhr): Facebook eröffnet in Berlin ein “Digitales Lernzentrum” u.a. in Kooperation mit der “Reporterfabrik: Pressemitteilung UPDATE-ENDE

Mir scheint es so, als ob die Fundraiser der “Reporterfabrik” im großen Stil die Fake News-Welle reiten, solange sie noch rollt. Ein längst überstrapazierter Begriff, der hierzulande wegen der Wahlen in NRW und dem Bund Konjunktur hat. Doch wenn in der Welt der „Reporterfabrik“-Macher derzeit „hunderttausende Hobby-Journalisten“ angeblich Desinformationen streuen, erscheint mir deren Lesart von „Fake News“ letztlich als Folgendes: Als Mutation der Blogger vs. „Qualitätsmedien“-Debatte — es geht um Gatekeeping per Journalismus-ist-wenn-wir-es-sagen-Fabrik.

Update 18.1.17: Siehe auch den Text von Wolfgang Michal: “Journalisten als Lehrer der Nation?

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