Die Lücke im Innovationsreport der taz

Ein lesenswerter Bericht schildert recht schonungslos die Lage der taz. Doch ein Thema rührt er nicht an: Woher soll die Fähigkeit kommen, “Innovation” umzusetzen? Und ist das alles ohne intensiven Geldeinsatz, personellen Wechsel und grundlegenden Wandel möglich?

Lorenz Matzat

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Es ist eins der spannendsten Dokumente zum Journalismus der jüngsten Zeit. Der tazreport 2021” gibt exemplarisch Einblick in die zerfahrene Lage der Branche. Wahrscheinlich wäre der nie veröffentlichte Report des Spiegel ähnlich lesenswert gewesen. Deshalb bin ich der taz dankbar, dass sie diesen Bericht komplett zugänglich macht (jeder Unterabschnitt lässt sich kommentieren, aber leider nicht verlinken/sharen).

Alle sechs Abschnitte nebst Pro- und Epilog lohnen sich zu lesen, doch will ich mich auf den Bereich Digitales konzentrieren. Auch wenn ich schon einiges in der hiesigen Medienbranche erleben durfte — es ist ein in Teilen erschreckendes Dokument: Aus der Innensicht eines Zeitungshauses wird relativ ungeschminkt erläutert wie über viele Jahre hinweg die Digitalisierung vertrödelt wurde. Die Darstellung dürfte– trotz aller Eigenarten der taz –in ähnlicher Form für andere Medienhäuser gelten.

Zur Einordnung: 2011 produzierte ich zusammen mit Gregor Aisch für taz.de eine interaktive Fluglärmkarte zum damals kurz vor der (vermeintlichen) Eröffnung stehendem Flughafen BER. Seitdem gab es die ein oder andere Zusammenarbeit und mit einigen Kolleg/innen dort stehe ich in Kontakt. Insofern habe ich zumindest etwas Einblick bzw. eine Ahnung, wie es in der taz zugeht. Auch wenn ich mich durchaus immer wieder politisch und journalistisch an ihr reibe, halte ich die taz für ein einzigartiges und unterstützenswertes Phänomen in der hiesigen Medienszene.

Strategische Fehler

“Alles, was in der taz mit Digitalem zu tun hat, ist schwierig. Schwierig zu planen, schwierig umzusetzen. Personen, die sich bei uns mit Digitalem beschäftigen, werden aufgerieben. Die Strukturen dafür sind sich mühsam durch das Zeitungshaus schlängeld gewachsen und funktionieren nicht in der Schnelligkeit, in der wir sie brauchen.”

So ist es prominent im Prolog zu lesen. Insgesamt kreisen viele Aspekte des Reports um den Weg nach “ Digitalistan”. Der damit unmittelbar befasste Abschnitt trägt den Titel: “Wir sind keine Zeitung mehr — Wie wir die taz im Netz neu gründen”. Dort finden sich Begriffe wie “EDV-Abteilung” und “Webmaster”; man ahnt schon: Bei der taz ist Anfang der 2000er hinsichtlich der IT die Zeit stehen geblieben. So wird im Report auch klar benannt, dass es diverse schwerwiegende strategische Fehler gab bzw. ein Strategie fürs Digitale gänzlich fehlt. Es werden Probleme beschrieben wie:

  • eine weiterhin auf Print fixierte Ausrichtung von Verlag und Redaktion
  • eine auf div. Ebenen unzureichende Website
  • ein wenig ausgeschöpftes Social Media-Potential
  • schlechte Suchmaschinenoptimierung (SEO)
  • kaum Datenanalyse der Webnutzung

Zurecht wird als Symbol für die verkorkste Lage angeführt, dass es erst Ende 2017 eine für mobil optimierte Website gab. Zudem wird in anderen Abschnitten auf inkompatible Arbeitsabläufe zur Webwelt hingewiesen.

Das Kernproblem drückt sich meiner Meinung nach in dem Unterabschnitt “Innovationen besser managen” aus. Ausgerechnet hier bleiben die Ideen im “Innovationsreport” schwach. Zwar wird deutlich — es klingt auch an anderen Stellen im Report an — , dass es eine unproduktive Trennung zwischen Verlag und Redaktion gibt. Im ersteren gibt es seit 2016 eine Abteilung “Digitale Transformation”, die aber offenbar kaum mit der Redaktion zusammenarbeitet (eine Mitarbeiterin dieser Abteilung schrieb auch den Report mit, der ansonsten von sieben Redakeur/innen verfasst wurde).

Die Lücke

Doch wird die Problematik nur zaghaft angesprochen: “Es muss auf beiden Seiten die Bereitschaft zur engen Zusammenarbeit bestehen”. Das Zaudern ist verständlich, denn es ist ein großes Fass, das hier aufgemacht wird. So ein Report ist letztlich auch ein politisches Dokument. Es geht um Zuständigkeiten, Gewohnheiten, Befindlichkeiten, Machtbereiche, eingeschliffene Muster — letztlich um Jobs, um Stellen. Dies aufzubrechen, zu transformieren, ist enorm schwierig und alles andere als konfliktfrei. Weiter ist zu lesen:

“Da die Digital-/Webentwicklung den Kern der redaktionellen Arbeit betrifft, sollte sie künftig Teil der Redaktion sein, andere Onlinemedien haben damit gute Erfahrung gemacht. Sie sollte auch personell deutlich aufgestockt werden, denn ‘auch wenn wir doppelt so viel wären, dann wären wir immer noch nicht genug’, so drückt es einer der Webmaster aus.”

Hier wird sich immerhin getraut, Ansprüche zu benennen und einen Wandel sowie Ressourcen einzufordern. Richtigerweise, denn Entwickler gehören in die Redaktion – nicht in eine abgekapselte Abteilung, die an den Verlag angeschlossenen ist.

Wie soll denn nun die Innovation besser gemanagt werden? Kann ein/e “der Chefredaktion unterstehende*n Redakteur*in für digitale Entwicklung” wirklich die Antwort auf einen über 15 Jahre hinweg angehäuften Problemberg sein? Und ist es mit Formeln à la “ auch die Ressortleitungen müssen die digitale Entwicklung ins Zentrum ihrer Arbeit stellen” wirklich getan? Was soll diese denn dazu befähigen? Woher sollen die notwendigen Kompetenzen rühren? Zahlreiche journalistische Medienhäuser kämpfen mit ähnlichen Problemen. Es fehlt schlicht das dafür ausgebildete bzw. fähige Personal. Die nicht eben zahlreichen Talente in dem Bereich sind heißbegehrt.

Und das ist die Lücke, der blinde Fleck dieses Reports. Ohne sich von denjenigen, die für die strategische Leere bzw. das Verhindern von “Innovation” mit verantwortlich sind, zu trennen, wird es kaum gehen. Ja, Innovation ist ein schwammiger Begriff. Doch was auch immer er genau meint: Es reicht nicht, nur Zeit und Mittel dafür frei zu räumen oder auf Weiterbildung zu setzen. Es braucht dafür die richtigen Leute, ggf. auf Kosten der bestehenden Stellen. Unangenehm, schon klar — vielleicht unmöglich in den speziellen Strukturen der taz.

Change Managment

Ein Medium der Größe der taz benötigt schätzungsweise ein Team von vier bis fünf Programmierern, ein bis zwei Designern, zwei Produktentwicklern/-konzeptern sowie zwei Projektmanagern. Die könnten in einem Prozess von 1,5 bis 2 Jahren eine erste brauchbare Version eines neuen umfassenden Webprodukts liefern. Dem Ganzen müsste eine Prozessleitung vorstehen, die mit einem weitreichenden Mandat ausgestattet ist — wenn hierbei zu viele Gremien eingebunden werden, wird das nichts. Diese Entwicklung müsste im ständigen Dialog mit Lesern, Redaktion und Verlag geschehen. Das Kunststück wäre, dieses technologielastige Team dauerhaft in den redaktionellen Alltag zu integrieren. Pi mal Daumen bräuchte es dafür 1 Mio. Euro im Jahr und einen Bruch mit der derzeitigen taz-Gehaltsstruktur.

Doch finanzielle Fragen beiseite gelassen: Das meiste Personal für so etwas müsste extra angeworben werden. Von wem? Wer kann die dafür nötigen Talente, die Technologie und Journalismus zusammen denken, identifizieren und anheuern? Was geschieht mit der bestehenden “EDV-Abteilung”? Müsste nicht generell die Organisation der taz hinterfragt werden? Und ein Wandel durch ein auf Jahre angelegten “Change Managment”-Prozess inkl. Mediation und Supervision angestoßen werden? Das kann man verneinen, doch diese Fragen müsste der Report meiner Meinung nach stellen.

Die angedeuteten Lösungswege wie

  • mit externen Entwicklern zusammenzuarbeiten
  • ein Accelerator-Programm (“​taz Hubraum​”) einzuführen, um “gesellschaftspolitisch​ ​motivierte​ ​EntwicklerInnen” an die taz zu binden
  • “eine*n Manager*in für die Schnittstellen von Redaktion und Technik” zu etablieren

weisen in die richtige Richtung. Für das komplexe Problem, den Journalismus für das Netz mit technologischen Know-how zu verzahnen, ist das zu wenig radikal.

Innovation beschwören

Konrad Weber, Digitalstratege beim Schweizer Fernsehen SRG, fragte Ende Januar: “Weshalb gibts in der Medienbranche eigentlich nicht mehr Leute, die sich für Produktentwicklung und Service Design interessieren?” Diverse Personen aus der Zunft antworteten auf Facebook.

Christina Elmer (Spiegel Online) etwa meinte:

“Man überlebt leider noch immer auch ohne, sowohl in der Ausbildung als auch in den meisten Redaktionen. Da hat sich eine Lücke entwickelt, die wir dringend schließen müssen. Allerdings liegen da auch gerade die spannenden Jobs, insofern ist das ein guter Moment.”

Wolfgang Blau (früher Zeit Online & Guardian, jetzt Condé Nast) gab zu bedenken:

“Gute Product Teams sind aber immer eine Art ‘Schweiz’ und sollten weder von Chefredaktion, noch von ‘Verlag’ als Service-Unit missverstanden werden. Und das ist selten.”

Anita Zielina (früher NZZ) bemerkte:

“Was nicht gerade hilft: Dass es so gut wie keine Journalistenschulen/ Ausbildungen/Mentorings gibt, die junge oder nicht so junge Menschen im Medienbereich bei dem Weg in diese neuen und oft erst mal verwirrenden Jobs mit mysteriösen Job Descriptions unterstützen. … Wird schon. Time is on our side. Aber für viele Medienhäuser ist es sehr, sehr spät.”

Sprich: Das neue Gebäude der taz, das fast fertiggestellt ist, steht bereits in Flammen. Innovation zu beschwören, reicht nicht. Wenn sich bis 2021 dringend etwas ändern muss, geht das nicht allein, wie im Epilog gefordert, durch “Struktur, verantwortliche Personen, Arbeitsgruppen, Projektaufträge”. Innovation verlangt Wandel.

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Lorenz Matzat
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