CivicTech anno 1520

Das Ende der Zukunft des Journalismus’

Lorenz Matzat
3 min readApr 22, 2017

Ohne Vorstellung von einer digitalen Gesellschaft braucht es auch keinen entsprechenden digitalen Journalismus

Stillstand. Seit rund zwei Jahren ist hierzulande ein Stillstand zu beobachten. Je mehr das Wort »Innovation« überstrapaziert wird, um so weniger tritt diese im Journalismus ein. Zwar versuchen diverse Programme, Labore, Kongresse und Inkubatoren Innovation zu initiieren, doch herausgekommen ist dabei wenig bis gar nichts. Man muss sich das klar machen: Ein bedeutender Teil der eigenen »Leserschaft« kann nahezu allerorts und jederzeit über mobile Computer mit Informationen versorgt werden. Gleichzeitig könnten die Leser Informationen (zurück-)senden. Was wird aus dieser einmaligen bahnbrechenden Möglichkeit seitens Redaktionen und Verlagen gemacht? Eben.

2017 gilt es als innovativ, wenn man investigative Recherche betreibt, für Teile seiner Inhalte online ein Login oder sogar Geld verlangt sowie Newsletter für bestimmte Regionen seines Verbreitungsgebiet anbietet. Formate also, die vor vielen, vielen Jahren entwickelt wurden. Blind hechelt man Fake-News-Hypes hinterher, breitet sich darüber aus, wie geil wichtig man sich als Journalist fühlt und überhäuft sich gegenseitig mit Preisen. Die scheinbar einzige Frage lautet, wie der eigene vermeintliche Qualitätsjournalismus zu monetarisieren sei. Leiser Zweifel, ob man überhaupt noch etwas Monetarisierungwürdiges anbietet, ist wenig bis nicht zu hören. Dafür aber um so mehr davon, wie erhaltenswürdig man als »Vierte Gewalt« doch für die Gesellschaft sei.

Warum eigentlich? Weil man hauptsächlich Meldungen der dpa weiterverbreitet sowie über den Lkw-Unfall auf der Autobahn X und den Frühjahrsball der Freiwilligen Feuerwehr berichtet? Es ist als ob das fabulöse Bild vom »Ende der Geschichte« die Lage des Journalismus’ am besten beschreibt: Gab es für einige Jahre eine recht rege Debatte rund um die Zukunft des Journalismus, sind Stimmen dazu weitgehend verklungen. Dabei ist eine deutliche Parallele zum gesamtgesellschaftlichen Diskurs um Digitalisierung zu betrachten: Wie das Potential der digital vernetzenden Gesellschaft in der Politik, für den Fortschritt der Organisierung der Gesellschaft genutzt werden könnte, wird nicht mehr ernsthaft diskutiert.

Die Betonung liegt hier auf ernsthaft. Dass eine Witzfiguren wie Alexander Dobrindt als Minister für die Digitalisierung unser Gesellschaft zuständig sein soll, spricht Bände. So geben sich die organisierte Gesellschaft — die Politik — und ein Großteil der Journalismusbranche überfordert einer Entwicklung hin, in die sie offenbar nicht mehr gestaltend eingreifen wollen oder vermögen. Der epochale Technologieschub, von dem wir derzeit Zeuge werden, wird maßgeblich von einzig am totalen Gewinn orientieren Konzernen vorangetrieben und geprägt. Insofern ist es konsequent: Wenn es keine Vorstellung davon gibt, wie eine digitale Gesellschaft aussehen könnte, braucht es auch keinen entsprechenden digitalen Journalismus. Das Primat des Ökonomischen hat auch hier gesiegt.

Dabei muss man sich verdeutlichen: Journalistische Medien waren mal Technologietreiber. Was waren die ersten Zeitungen anderes als die erste Form von »Civic Technology« (“technische Konzepte, die Engagement und Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern fördern“ — Wikipedia)? Die ersten Nutzungsformen einer der wichtigsten Erfindung der Menschheit, der Druckmaschine, war CivicTech pur. Neben “Print” waren es bei der Fotografie, beim Radio und beim Film (im Fernsehen) immer auch Journalisten, Redaktionen und Verlage, die die Weiterentwicklung der Technologie bestimmt oder sogar selbst betrieben haben.

Die traurige Ironie ist, dass wir in Deutschland mit den Öffentlich-Rechtlichen Einrichtungen besitzen, die mit rund 8.000 Millionen Euro im Jahr von der Gesellschaft ausgestattet werden, um Information und Unterhaltung zu organisieren. Das sind etwa 100 Euro pro Jahr pro Einwohner dieses Landes. Wo wären wir, wenn davon ein Euro pro Jahr pro Einwohner in Experimente, in Format- und Technologie-Entwicklung, in Open-Source-Software gesteckt würde?

Wo wären wir, wenn nicht Klagen von Verlagen, verkrustete Strukturen und parteilastige Beiräte die Geschicke und Ausrichtung der öffentlich-rechtlichen Sender lenken würden? Wo wären wir, wenn Verlage und Redaktionen sich mit den CivicTech-Communities zusammenschlössen: Um das digitale Potential aus den Daten, die die Verwaltung unser Gesellschaft in deren Auftrag erzeugt, urbar zu machen? Wo wären wir, wenn es einen Diskurs darüber geben würde, wie wir uns Fortschritt vorstellen?

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Lorenz Matzat
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